Am Wochenende konnte es endlich mit den Bauarbeiten weitergehen: Zuerst entstand das Gerüst. Bald darauf waren beide Regalfächer für die Bücher, die in der kleinen Gutsbibliothek auf Leser warten sollen, fertiggestellt. Danach kam der Rahmen für das Dach. (zweites Bild) Fast alles so wie beim richtigen Hausbau. Man hätte glatt Richtfest feiern können! Ganz am Ende kam auch noch die Hälfte des Daches auf die „Dachbalken“ und die kleine Gutsbibliothek nahm langsam Form an (siehe Bild ganz unten). Ich freue mich schon auf den nächsten Bautag, der wohl erste Malerarbeiten beinhalten wird.
Nach den Buchbesprechungen im letzten Beitrag geht es heute wieder um die praktische Arbeit an unserer kleinen Gutsbibliothek. Links gibt es den zweiten Entwurf, der im Vergleich zum ersten Entwurf etwas verändert ist und sich an der Hamburger Bücherbutze orientiert. Das etwas vorgeschobene Dach macht bei regnerischen Wetter auf jeden Fall Sinn.
Und dann ging es diesen Samstag ans Werk, jedenfalls so
lange wie das Material reichte und bevor die Sportschau (Fußball) anfing. Wie ihr seht, wird es ein etwas größeres Puppenhaus. Platz für Bücher wird auf zwei Etagen sein. Das ergibt eine Buchstellfläche von etwas mehr als einem Regalmeter, um in bibliothekarischen Maßeinheiten zu sprechen. Mit so viel Platz habe ich am Anfang gar nicht gerechnet, ergab sich einfach aus dem Material, das herumlag. Gut, am Anfang können wir Bücher sogar frontal präsentieren. Darauf freue ich mich schon.
Neben Bau und Einrichtung einer kleinen freien Gutsbibliothek sollen an dieser Stelle auch Buchbesprechungen ihren Platz finden. Auch wenn diese Titel nicht immer sofort in der kleinen Gutsbibliothek landen (weil ich mich noch nicht davon trennen kann).
Im Winter habe ich eine Menge gelesen, auch Romane. Vier davon liegen neben mir auf einem Stapel. Alle passen, obwohl sie nicht durchgehend im Winter spielen, gut in diese Jahreszeit. Alle vier sind mit einer warmen Traurigkeit angefüllt, so angenehm und herzlich, dass ich nach dem Lesen nicht verzweifelt, sondern berührt, angerührt gar, war. Jedes Buch hat zudem eine eigene Geschichte, die ich beim Besprechen nicht verschweigen möchte.
Jocelyne Sauciers Roman „Ein Leben mehr“ erschienen 2015 im Inselverlag hat mir Gabi Scheller, Buchhändlerin in Büsum, empfohlen. Mit dem Buch geht es tief in die nordkanadischen Wälder. Drei alte Männer leben dort, verstecken sich jeder auf seine Weise vor der Welt. Sie werden von Steve versorgt, dem das einzigste Hotel in der Gegend gehört und der zusammen mit dem anderen Unterstützer der alten Herren, Bruno, eine Hanf-Plantage in der Nähe der kleinen Siedlung betreibt. Unterbrochen wird diese Männer- und Marihuana-Idylle von einer Fotografin, die Nachforschungen über Überlebende der großen kanadischen Waldbrände zu Beginn des 20. Jahrhunderts anstellt. Gleichfalls gesellt sich Brunos 82jährige Tante zu den Männern. Diese arme Frau war als Jugendliche für verrückt erklärt worden und den Rest ihres Lebens in Heimen weggesperrt gewesen. Sie wird nun von Bruno mit neuen Papieren ausgestattet und im Wald versteckt. Wie es mit dieser kleinen Gemeinschaft weitergeht, sei noch nicht verraten. Denn noch jemand versteckt sich sich dort im Wald und mit ihm endet auch das Buch: Der Tod. Aber:
…um den Tod muss man isch keine Sorgen machen, er lauert in allen Geschichten.
Saucier. Zitat aus „Ein Leben mehr“
Das klingt jetzt traurig, ist es aber nicht. Es ist ein wundervolles Buch für einen ganzen Abend mit einem Glas Rotwein oder einer Tasse Tee, während der Ofen bollert und draußen die Bäume rauschen. Die 190 Seiten flogen nur so an mir vorbei. Saucier ist eine geschickte Autorin, die eine einfache Geschichte spannend und anrührend zu erzählen weiß. Stilistisch sollte sie noch etwas mutiger werden, so meine Meinung, sie sollte sich vom nordamerikanischen Schreibschulestil lösen und mehr experimentieren.
Mit Natalio Gruesos „Der Wörterschmugler“ erschienen 2015 bei Atlantik kehren wir Europa zurück, nach Spanien. Genauer gesagt, spielt die Handlung an vielen Orten: In Lateinamerika, in Nordamerika, am Genfer See und besonders in Venedig. Gekauft habe ich den Roman in den Neujahrsferien in Stralsund. Aber auch meine kleine Buchhandlung um die Ecke hatte den „Wörterschmuggler“ herumliegen. Grueso scheint wie einige spanische Autoren im Moment dem Anekdotenroman-Wahn verfallen zu sein. So gibt es auf den knapp 251 Seiten nicht eine fortlaufende Handlung, sondern 12 Geschichten inkl. Rahmenhandlung (sofern man es Rahmenhandlung nennen kann). Insgesamt macht das Werk einen sehr fragmentarischen Eindruck. Einige Geschichten haben dennoch mein Herz erreicht, so z.B. „Der Mann, der Bücher verschrieb“. Der Argentinier Horacio Ricott, der Bücher wie Medikamente verschreibt, ist nicht die Hauptperson des Romans, sondern der Ex-Kellner und Abenteurer Bruno Labastide, der als gealterter Dandy in Venedig auf die Gunst einer schönen Japanerin hofft. Diese sehr exzentrische Dame prostituiert sich jeden Abend für das schönste Gedicht oder die schönste Geschichte, die ihr zugesandt wird. Jeder Dichter darf selbstverständlich nur einmal. Labastide hofft, das er die schöne Japanerin länger an sich binden kann.
Was bei Saucier zu viel Schreibschule war, ist es hier bei Grueso zu wenig. Kurz: „Der Wörterschmuggler“ ist der in Anekdoten zerfallende Erstling eines undisziplinierten Spaniers. Ich mag es trotzdem.
Nach dem Einsamkeitsroman von Grueso, müssen wir wieder unseren alten Bekannten, den Tod, zu Wort kommen lassen: Denn Sieben Minuten nach Mitternacht von Siobhan Dowd erschienen 2011 bei cbj definitiv der letzte Roman der Autorin, sie verstarb bereits 2007 an Krebs. Patrick Ness hat ihr letztes Buch nach ihren Entwürfen fertiggeschrieben und Jim Kay hat es genial illustriert. Das Buch fand irgendwie zu mir. Ich vermute, es kam als Mitbringsel oder Geschenk. Der Roman ist eine Mischung aus realistischen Jugendroman, irischer Märchengeschichte und trauriger Krankengeschichte. Trotz der wundervollen Illustrationen und der teilweise märchenhaften Handlung hat es sehr betroffen gemacht. Die Hauptperson ist der Junge Conor O’Malley, der sich einem Monster, dem Mobbing an seiner Schule und dem drohenden Krebstod seiner Mutter stellen muß. Zu allem Ungemach taucht auch noch seine Großmutter auf, die völlig anders ist als Conor und seine Mutter. Zu seinem Vater in die USA kann er nicht gehen… Märchen, Krebstod und Mobbing sind die Themen von „Sieben Minuten nach Mitternacht“. Handwerklich gibt es gar nicht zu bemängeln. Siobhan Dowd hat ein großartiges Vermächtnis hinterlassen und Patrick Ness hat es großartig vollendet. Das traurigste Buch in diesem Vorstellungsreigen.
Um Mobbing in der Schule geht es auch in Sara Lövestams „Herz aus Jazz“ erschienen 2015 bei
Rowohlt Tb. Noch ein Buch über das Erwachsenwerden also! Seltsamerweise erscheint es in der Rowohlt Erwachsenenreihe, ist aber vielleicht ganz gut so. Zur Handlung: Steffi Herrera wächst in einem kleinen schwedischen Ort auf und wird an der öffentlichen Schule bis fast zur Unerträglichkeit gemobbt, real und virtuell. Keinen Lehrer scheint es zu interessieren. Doch auch wenn es für Steffi immer unerträglicher wird, sogar ihr Musikinstrument zerstört wird, bleibt sie sich treu, interessiert sich für Jazz und versucht in der Schule zu überleben. Eines Tages lernt sie den alten Alvar kennen, der im Altenheim ein Grammophon besitzt und Jazzplatten aus den vierziger und fünfziger Jahren hört. Es stellt sich heraus, dass Alvar „Küken“ Svenson, der auch aus Steffis kleinen Ort kommt, einst ein berühmter Jazzbassist in Stockholm war. Auch Steffi spielt Bass und bringt sich selbst Klarinette bei. Ihr Traum ist es, an einer Musikschule angenommen zu werden. Das melancholische Buch von Lövestam erzählt in einem zweiten Handlungsstrang die Geschichte der Liebe von Alvar und Anita, die sich in Stockholm kennenlernen. Alle drei, Steffi, Alvar und Anita, haben ein Herz aus Jazz. Mehr wird nicht verraten. Es ist ein Buch nicht nur für Jazzliebhaber, sondern für alle, die Geschichten über starke (Mädchen) Frauen lieben. Das „Herz aus Jazz“ habe ich in einer der kleinen Buchhandlungen im Steinweg entdeckt. Dafür ganz herzlichen Dank.
Von der Idee geht es jetzt zur Ausführung: Zwei Standorte in unserem Gutsvorgarten habe ich mir auch ausgeguckt und schwanke so ein bißchen, welcher davon der bessere ist. Außerdem habe ich mich an meinen Skizzenblock gesetzt und einen ersten Entwurf gezeichnet. Wie in den Tipps für den eigenen Bau auf den Seiten der amerikanischen Erfinder der „Little free library“-Idee schreiben, sollen möglichst alte Materialien wiederverwendet und „grün“ verbaut werden. Mir juckt es schon in den Fingern, mit den Bauen zu beginnen. Mal sehen, was ich so an Baumaterial finde und was ich evt. neu kaufen muß.
Bis dahin noch etwas zur Geschichte der kleinen freien Bibliotheken. Diese „Puppenhaus-Bibliotheken“ sind ein relativ neues Phänomen und gehen auf den Amerikaner Todd Bol zurück, der die erste kleine Bibliothek 2009 als Andenken an seine Mutter, die Bücher liebte, aufstellte. Seitdem sind tausende weiterer kleiner Bibliotheken in den USA und in vielen anderen Ländern entstanden. Um sich aber „Little free library“ nennen zu dürfen, muss man sich bei der gemeinnützigen Firma von Todd Bol registrieren lassen. Darüber können wir noch nachdenken. Hier darf natürlich nicht verschwiegen werden, dass es mit den „offenen Bücherschränken“ auch in Deutschland auch eigene Entwicklung gibt, hier ein Beispiel. Die Bücherzellen habe ich bereits erwähnt. Und es ist unglaublich, es werden sogar kleine Bibliotheken gestohlen, hier die traurige Geschichte... Die besonders traurig ist, weil die gestohlene Kleinbibliothek als Andenken an einen Verstorbenen errichtet wurde. Aber das ist nicht die ganze Geschichte …
Am Ende noch ein Beispiel, wie der Bau einer kleinen Bibliothek vonstatten gehen könnte, hier nachzuschauen … Jetzt sollte ich mich aber ans Werk machen.
Die Idee begann mit einem Zeitungsartikel in der Züricher Zeitung. Dieser erklärt, was es mit den „Little free Libraries“ auf sich hat, hier ist er zum Nachlesen. Eine kleine freie Bibliothek oder little free library, wie es im amerikanischen heißt, arbeitet wie eine Büchertelefonzelle nach dem Motto: “Hol ein Buch, bring ein Buch”. Eigentlich ganz schön, oder? Aber wer hat gleich eine ganze alte Telefonzelle zur Verfügung? Außerdem hat mich an den „großen“ freien Bibliotheken immer gestört, dass sie rasch zu einem unendlichen Durcheinander mutieren. Alte und neue Bücher werden wahllos aufeinandergestapelt, es wird herumgewühlt und so richtig ergänzt wird auch nicht. Das geht mit einer kleinen freien Bibliothek, um die sich jemand kümmert, vielleicht besser. Hier ein Video aus Atalanta, in dem einige Little free Libraries zu sehen sind (auf engl. , aber das könnt ihr ja!):
Das Projekt, das in den USA außerordentlich erfolgreich ist, die angelsächsische Bibliothekskultur macht sich auch hierbei positiv bemerkbar, hat natürlich eine I-Seite, wer es lieber auf Facebook mag, auch da sind sie sicher zu finden.
Und so kam es, dass vor unserem Zuhause auf dem Gutsgelände auf einer Insel mitten in einer deutschen Großstadt auch eine kleine freie Bibliothek entstehen soll. Das hier ist ein Beginn. Es wird weitergehen, da bin ich sicher.