Die Buch- und Lesegemeinschaft hat den schönen Brauch am Ende des Jahres oder am Anfang des nächsten aufzuführen, welche Bücher im Verlauf des Jahres gelesen worden sind. Gerne möchte ich das für 2023 auch einmal probieren. Dabei werde ich aber nur Werke aufführen, die mir gefielen bzw. die ich nicht abgebrochen habe.
Gelesen im Januar: Das erste Buch des Jahres war Amari von B.B. Alston, ein Jugendbuch, von dem ich gehofft hatte, dass es mehr Kinder lesen. Es ist ein Zaubererinnenabenteuer von einem schwarzen Mädchen, die nicht gerade priviligiert ist, wie viele Schwarze in den USA. Nun muß sich Amari obendrein in der Magierwelt durchbeissen, die voller priviligierter Menschen steckt. Es gibt inzwischen auch einen zweiten Teil!
Wir bleiben in der Fantasywelt, aber reisen nach Mittelerde zu Tolkiens „Der Untergang von Numenor“ bzw. „Der Chronik des zweiten Zeitalters“, die nach Quellen und Materialien zusammengestellt worden ist. Karten und Illustrationen von Allan Lee runden das Ganze ab. Mit Hilfe von Fragmenten aus dem Nachlass von Tolkien wurde chronologisch versucht, den Untergang von Westernis/Numenor zu rekonstruieren. Wer nach dem Lesen des „Herrn der Ringe“ mehr über die Vorgeschichte des Ringes und den Untergang der Menschen von Westernis, den Vorfahren von Aragorn (Streicher) erfahren möchte, ist hier gut bedient. Eher aber eine Sache für Fans.
Ich liebe die Musik von Joni Mitchell. Sie ist eine der Konstanten in meinem Leben. Malka Marom führte zwischen 1973 und 2012 mehrere Interviews mit der kanadischen Sängerin und Künstlerin und sehr ehrlich erzählt Joni darin von ihrem Leben, von ihrer großen Karriere, aber auch von ihren Niederlagen. Daraus entstand das Buch „Ich singe meine Sorgen und male mein Glück“ mit vielen darin enthaltenen Songtexten. Wie Jimi Hendrix war sie eher eine Musikerin, die andere Musiker beeinflußt, dennoch hatte Joni auch eine Zeit, in der sie in Fußballstadien und auf großen Bühnen auftrat. Sie machte wohl mit „Big Yellow Taxi“ eins der ersten Umweltthemalieder, schuf die Hymne eines Rockfestivals, auf dem sie nie war, und war für einen der meistgesehenen Weihnachtsfilme „Tatsächlich Liebe“ mitverantwortlich, in dem einer ihrer bekanntesten Songs mitvorkommt.
Es wurde Zeit für einen Krimi, immerhin haben wir im Wochenendhaus eine ganze Krimibibliothek. Die Wahl fiel auf „Bis zur Neige : Ein Fall für Berlin und Wien 2“ von Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb. Ein Edelwinzer in Österreich und ein Szenelokalbetreiber in Berlin, der den Wein des ersteren ausschenkte, werden ermordet. Berlin und Wien, bzw. Kommissar Bernhardt und Chefinspektorin Habel müssen wieder zusammenarbeiten, was nicht immer unproblematisch ist. Hier haben mich die Nebenhandlungen kaum gestört. Ich sollte noch einen weiteren Fall von den beiden lesen, es gibt inzwischen vier.
Gelesen im Februar: Im größten Frust (über unseren Mittelalterverein) erreichte mich ein Buch aus den USA von der Köchin und Historikerin Dr. Hélène Jawhara Piñer, die in dieser veröffentlichten Dissertation mit dem Titel „Jews, Food and Spain“ hauptsächlich das erste bekannte iberische Kochbuch auch bekannt als Kitāb al-Ṭabikh fī al-Maghrib wa al-Andalus fī ʽAṣr al-Muwaḥḥidīn, li-muʽallif majhūl untersucht. Am Ende ihres Buches steht der wundervolle Satz: „To eat is to remember“. Wir haben uns auch gleich das Kochbuch Sephardi von ihr bestellt.
Sephardi : Cooking the History. Recipes of the Jews of Spain and the Diaspora, from the 13th Century to Today. Das Kochbuch von Dr. Piñers ausprobierten sefardischen Rezepten aus hist. Kochbüchern wurde gelesen. Einiges wurde auch nachgekocht. Verraten sei schon, dass Piñer die Aubergine sehr liebt. Und es gibt auch einige Überraschungen, z. B. Mangold.
Mit Pantopia von Theresa Hannig wieder etwas belletristisches und fantastisches auf dem Lesetisch: Es ist der literarische Traum von einer besseren Welt, eine Utopie über eine Superintelligenz, die zum Wohle der Menschheit versucht die Macht zu übernehmen. Kann das gutgehen und wenn, wie? Mir hat das Buch jedenfalls sehr, sehr viel Hoffnung gemacht. Zur literarischen Qualität kann ich nur auf den aufgedruckten Preis verweisen. Den beiden jungen Programmierern Patricia und Henry gelingt bei einem Wettbewerb um die beste Trading-Software das Unmögliche: Sie erschaffen eine Superintelligenz, eine Künstliche Intelligenz, die Bewußtsein entwickelt. So ist die eigentliche Hauptperson des Romans eben diese neue und einmalige Species, die sich selbst „Einbug“ (Ein Fehler im Programm!) nennt, nach den ersten Worten, die sie begriffen hat. Nachdem es Patricia und Henry gelungen ist, Einbug vor dem Zugriff der Firma, für die sie das Programm entwickelt haben, zu retten, nimmt die KI das Schicksal selbst in die Hand und erfindet „Pandopia“, eine Weltrepublik, die auf den Menschenrechten und auf direkter Demokratie fußen soll. Die Bewohner nennen sich Archen und Einbug ist die erste Arche Pantopias. Und da Geld Macht ist und Einbug ursprünglich eine Trading-Software war, macht sich die Superintelligenz genau dies zunutze. Die Politik reagiert viel zu langsam, weiß die KI. Und um sein Ziel zu erreichen, müssen auch die engsten Freunde manipuliert und hinters Licht geführt werden. Es ist zu ihrem eigenen Nutzen. Eine BKA-Beamtin ist für Einbug nun wirklich kein wirklicher Endgegner. Nächste Station die Übernahme der Vereinten Nationen! Pantopie ist wirklich ein wunderschöner Traum!
Gelesen im März: Coomers „Rosinante oder die Liebe zum Meer“ ist schon etwas älter. Das Original unter dem Titel „Beachcombing for A Shipwrecked God“ ist von 1997, aber ich liebe dieses Buch. Rosinante oder auf engl. „Strandraub für einen schiffbrüchigen Gott“ ist einer meiner Lieblingsromane. Gefühlt sind die drei weiblichen Hauptpersonen Chloe (17), Charlotte (ca. 35) und Grace (75) den ganzen Roman auf der Flucht, um an der kanadischen Küste die Insel Prince Edward Island den fiktiven Schauplatz des Romans „Anne auf Green Gables“ zu erreichen. Beim zweiten Lesen stellte ich erschrocken fest, dass diese turbulente Reise nur einen kleinen Teil des Romans ausmacht und sich die Handlung rund um die drei Frauen und ihre Holzyacht, die sie zu ihrem Zuhause gemacht haben, sehr, sehr langsam entwickelt. Dabei läßt sich der Autor Joe Coomer viel Zeit, um die Eigenheiten und Schicksale der drei Frauen, die sich zufällig zusammen gerauft haben, zu entwickeln.
Sehr traurige Geschichten bietet Annette van den Berghs „Sehnsucht“. Das sind Geschichten, die mich sehr berührt haben. Annette und ihre schwarzen Kater kenne ich von Twitter. Nun bin ich bei bluesky und sehe von ihr leider nur noch selten etwas. Das ist sehr schade.
„Gallant“ von Victoria E. Schwab ist ein Roman, den ich in 1 ½ Tagen wie im Rausch durchgelesen habe und das ist doch das größte Lob, das einer Geschichte gemacht werden kann. Es sind 350 Seiten eines Gesamtkunstwerks aus Cover, wunderschön passenden Illustrationen und einer spannenden Story, die ganz ohne Effekthascherei und Schockeffekte zu fesseln weiß. Dabei beschränkt sich Schwab auf das Wesentliche und bis auf das Spiel mit den Tagebüchern der Mutter der Hauptperson reicht der Autorin ein einziger Erzählstrang. Oft ist die Spannung kaum auszuhalten. Und das Ende, das ich keinesfalls verraten möchte, rundet das Werk ab wie ein zartes Klavierspiel im Dämmerlicht.
„Das Buchmaultier von Córdoba“ von Wilfrid Lupano ist eine Graphic Novel. Die Vernichtung der Bibliotheken von Córdoba durch Al-Mansur, der sich dadurch eine Unterstützung der islamischen Geistlichkeit für seine geplanten Kriege erhoffte, wird beispielhaft durch die Figuren Tarid, Eunuch und Bibliothekar, der Kopistin Lubna (eine hist. Figur, beispielhaft für die 170 weiblichen Kopistinnen der Bibliothekeken der Kalifatshauptstadt), dem Dieb Marwan und eben dem Maultier, dass die wenigen geretteten Bücher tragen soll, erzählt. Am Ende wird diese kleine Gruppe inkl. der Bücher von unerwarteter Seite gerettet. Trotz einiger Schwächen, was hist. Kleidung etc. betrifft (besonders die Wikinger sind schlecht und was raucht die Wache auf den Mauern von Córdoba?), ein wundervolles Werk über einen Teil der Geschichte, das in Medien und Geschichtsunterricht viel zu kurz kommt: Die gezielte Vernichtung von Wissen durch Fanatiker und gewissenlose Politiker. Eine der besten und kürzesten Darstellung der Geschichte des islamischen Spaniens ist übrigens das Nachwort von Pascal Buresi im „Büchermaultier“ und das gibt es umsonst obendrauf. Selten so etwas Gutes über die Geschichte von Al Andalus gelesen wie diesen Text.
Novellen von Cervantes gelesen, darunter La española inglesa. Ich war sehr erstaunt, wie positiv er Elisabeth I. geschildert hat, erstaunlich, da E. I. in Spanien als „Ketzerkönigin“ galt.
Gelesen im April: Ich habe selten ein so spannendes Sachbuch wie „Lebendige Nacht“ gelesen. Nein, Lesen ist untertrieben, denn ich habe es verschlungen. Oft lege ich Sachbücher zur Seite, weil zu dröge. Manchmal lese ich auch nur die Abschnitte, die mich interessieren. Das war hier anders. Ganz anders! Bei Sophia Kimmigs Buch wurde aufgegessen und der Teller abgeschleckt. Was macht Kimmigs „Lebendige Nacht“ so lesenswert? Das liegt am Thema, denn die Biologin nimmt uns mit in die verborgene Welt der Tiere, d.h. es geht um das Leben von nachtaktiven Tieren. Sie erzählt, wie diese Nachtaktivität entstand, welche Formen sie beinhaltet und welche „Stars“ es im tierischen Nachtleben gibt.
In unserer bereits erwähnten Krimibibliothek fanden sich die „Hexergeschichten“ von Edgar Wallace in einer alten DDR-Ausgabe. Die sind sogar sehr gut und amüsant. Womöglich sind die Geschichten aber in eine lesenswerte Form übertragen worden.
Bleiben wir kriminalistisch. Reden wir nicht lange drum herum. Das Delikatessengeschäft der Heinleins, geführt in dritter Generation, hat schon bessere Tage erlebt. Auch Stephan Ludwig konnte mich mit seinem 13 Hallekrimi, Schröder und Zorn (nicht namentlich genannt, aber deutlich erkennbar) spielen nur am Rande mit, nicht vollkommen überzeugen. Vielleicht hätte er die künstlerische Gesamtkomposition noch einmal abschmecken sollen, bevor diese die Schriftstellerküche verließ?! Stellenweise, besonders beim ersten Gang, zeigte sich, was für ein hervorragender Autor Ludwig ist, aber schnell ist ein Restaurantstern weg, wenn der Nachtisch misslingt und die Gesamtkonzeption aus den Fugen gerät.
Mord gibt es auch in „Schwarze Kürbisse“ von Malika Ferdjoukh, ein wundervoller Roman in einem Landhaus in Frankreich spielend. Seitdem habe ich vor Familientreffen große Angst! Und es stand mir ja noch bevor! Hilfe!
April war wirklich Krimimonat! Weiter geht es mit Amy Achterops Amsterdamer Hausboot Detektei und ihrem ersten Fall, „Tödlicher Genuss“. Das ist ein Cozy Crime mit diversen und skurilen Ermittlerteam + Ermittlertieren, die mich überraschten, erfreuten und gut unterhielten.
Im Mai war Schluss mit Mord und Totschlag! Obwohl, bei griechischen Göttern, denen man im London des 21. Jahrhunderts begegnet, kann auch so einiges passieren. Denn Artemis holt den Göttern eine Putzfrau ins Haus, und plötzlich steht die Götter-WG Kopf. Marie Phillips „Götter ohne Manieren“ sind eine heitere, unanständige und turbulente Unterhaltung für Zwischendurch, sogar mit Happyend, wie ich mir aufgeschrieben habe. Das Buch habe ich übrigens aus unserer kleinen Gutsbibliothek, öffentlicher Bücherschrank bzw. Littlefreelibrary, gefischt.
Bei meiner Tochter lag der Erzählungsband „Mars“ von Asja Bekić herum. Das waren sehr beeindruckende SF-Geschichten außerhalb der Genre-Grenzen, kann ich sehr empfehlen.
„Mit Blick aufs Meer„ (engl.: Olive Kitteridge) von Elisabeth Strout hat mich ebenfalls sehr berührt. Die Kurzgeschichtensammlung, die sich als Roman tarnt, spielt in Maine, USA. Die Stories um die einsame, depressive und harsche Mathematiklehrerin Olive haben mich zum Teil sehr mitgenommen.
„Die Möwen von Fehmarn 1 : Mord am Südstrand“ von Rebecca Schulz konnten mich nicht ganz überzeugen, was aber eher an meiner Erwartungshaltung lag. Was sie auch immer über Möwen an Vorurteilen hatten, sie sind noch viel, viel schlimmer! Allerdings hat sich der mutmaßliche Tierkrimi im Verlauf der Handlung eher in eine beginnende Tierfantasyserie verwandelt, was interessant, aber nicht so ganz mein Geschmack war.
Gelesen wurde im Juni: Schwer beeindruckt hat mich Diane Setterfields „Die Dreizehnte Geschichte“, übersichtliches Personal, grandios, Bezüge zu Middlemarch (z.B. S. 305). Und der Schluss hat mich wirklich überrascht. Ganz, ganz großes Kino. Ein Buch, dass ich auch wieder aus der Littlefreelibrary gefischt und sofort geliebt habe. Und weil ich so verliebt war, folgte gleich darauf ein zweites Buch von Frau Setterfield und zwar:
„Was der Fluss erzählt“ Dieses Buch ist märchenhafter als „13 Tale“, hat mich aber nicht gleich gefesselt, es war eher Liebe auf den zweiten Blick. Wie die dreizehnte Geschichte ist es eine Art Kriminalfall, aber neben der Entführung eines Kindes und dem Auftauchen eines anderen Kindes in einer märchenhaften Nacht spielt der Fluss Themse oberhalb von Oxford die Hauptrolle und die liebevolle Zeichnung der Flussbewohner, fast schon tolkienhaft erzählt. Da ich auch ein Flußbewohner bin, habe ich diese Liebeserklärung zu schätzen gewußt.
Etwas für zwischendurch waren die Kurzkrimis „Abgründiges Ahrtal“ von Karin Joachim. Diese Autorin ist in der kurzen Form sogar noch besser als bei den langen Krimis, die sie über die Tatortfotografin Jana Vogt im Ahrteil spielend verfaßt hat.
Wir bleiben beim Thema Fluss: „Der Donaulimes, der mit 2000 km Länge von Bayern bis zur Donaumündung im Schwarzen Meer reicht, gehört seit 2021 zum UNESCO-Weltkulturerbe.“, schreibt der Verlag über sein Zeitschriften-Sonderheft in Buchform. Besonders haben mich die Artikel über das Alltagsleben der Flussbewohner im römischen Reich interessiert, z.B. „Marion Großmann – Zivilleben am Donaulimes“. Der römische Alltag in Carnuntum“ und natürlich Artikel über die damalige Flußschifffahrt.
Von der Donau nach Dublin: „Der Teufel von Dublin : Neue Father-Brown-Krimis“ von T. H. Lawrence kam natürlich nicht an das Original heran, war aber sehr unterhaltsam und lesenswert. Das Pater Brown fast zum Lieblingsheiligen kath. Verlage wird, hätte Gilbert Keith Chesterton sehr amüsiert.
Im Juli ging es in die Provence, zumindest literarisch. Maike Nielsen kannte ich bereits als Jugendbuchautorin, aber das war hier ein anderes Kaliber. Eine Anhalterin strandet in der Provence und lebt bei einer anderen Frau, sie verliebt sich in einen Artisten/Dachdecker, plötzlich bricht alles zusammen. Ihr Freund stirbt, die Gastgeberin, inzwischen ihre beste Freundin verschwindet, sie kehrt mit einem werd. Kind nach Hause zurück. Erst Jahre später trifft sie ihre Freundin wieder, die plötzlich eine ganz andere ist. Aber wer war die Frau wirklich? Der Roman hat mich traurig und nostalgisch gemacht, ging mir nicht alleine so. Von allen Buchpreisen unbeachtet, dabei wesentlich besser als unten „Ziplock“.
Enrique, der Hipster, kehrt nach Studium in Madrid und dem Bruch mit seiner Freundin Lina, nach La Cañada, seinem Heimatdorf zurück. Er kommt bei Tante und Onkel unter. Im Dorf leben fast nur noch alte Menschen wie in vielen spanischen Dörfern. Doch unser Hipster möchte sich nicht nur verkriechen, sondern vor Ort etwas auf die Beine stellen, gibt workshops, wird sogar Bürgermeister. Er kann die einzige junge Frau im Dorf, Lourdes, für sich gewinnen und fördert die örtliche Wirtschaft. Er verteidigt die Traditionen des Dorfes gegen kulturelle Aneignung von außen, kann einen Filmdreh ins Dorf holen und vertritt das ländliche (leere) Spanien sogar bei einer Klimakonferenz in Madrid, bei der es eine Entführung einer bekannten Klimaaktivistin gibt, um die sich der Hipster auch noch kümmern muß. Ruhiges Landleben war gestern, hier kommt der Hipster und sein Dorf in Teruel. Ich bin leicht zu begeistern, aber der Holzhammerhumor mit z.T. uralten Witzen war selbst mir manchmal zu viel. Da wurde kein Klischee ausgelassen, was andere spanische Regionen, katholische Kirchenmänner oder die Neofaschisten betraf. Nach dem tiefgründigen Roman von Nielsen hatte es Gascón eher schwer bei mir. Zudem kommen deutsche Leser mit der anekdotenhaften Form, seit Cervantes beliebt, der spanischen Romane nicht klar.
Die zweite Graphic Novel waren die „Gruftis“ von Léa Mazé. Und ich bin ein wenig verliebt. Es ist ein zeichnerisch und storymäßig gut gelungener Comic-Krimi in einem gruftimäßigen Ambiente, denn die beiden Hauptpersonen sind Kinder einer Bestatterfamilie, die ihre Firma und Wohnhaus direkt am Friedhof haben. Der Nachhauseweg der Zwillinge Celine und Colin von der Schule führt direkt über den Friedhof. Und natürlich werden sie in ihren Klassen gehänselt deswegen. Aber das ist nicht alles, denn auf dem Friedhof geschehen plötzlich merkwürdige Dinge.
Nur selten nehme ich von schönen Ausstellungen auch einen Ausstellungskatalog mit. Aber dieses Mal mußte es sein, da es auch ein Stück Familiengeschichte enthält. Die an zwei Orten in der Stadt gezeigte Ausstellung „Halle am Meer“ beinhaltete nämlich auch einen DDR-Kunstskandal von 1951, in dem eine Verwandte, die an der Burg Giebichenstein Studentin war, beteiligt war. So war auch ihr persönliches Fotoalbum in der Ausstellung. Ausstellung als Stück Familiengeschichte sozusagen.
Über Israel reden die Deutschen gerne. Ausgehend davon hat Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, mit „Über Israel reden : Eine deutsche Debatte“ ein Buch über die einzige Demokratie im Nahen Osten geschrieben. Mendel beginnt sein Buch sehr persönlich über seine Zeit in der israelischen Armee, über sein Studium in Deutschland und seine Desillusionierung, was Israel betrifft, durch die erneute Wahl von Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Verbündeten. Mendel hat den Eindruck, dass Israel sich abschafft. Mendel wirft einen Blick darauf, wie wir Deutschen auf Israel schauen. Dabei läßt er auch Reizthemen wie den BDS-Streit (BDS = Boycott, Divestment and Sanctions („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“)) nicht aus. Mendel bietet kein Patentrezept, er macht aber nachdenklich. Die Frage am Ende ist: „Wird es jemals möglich sein, hier in Deutschland eine sachliche Debatte über Israel zu führen?“ Mit diesem Buch sind wir in der Angelegenheit zumindest einen Schritt weiter.
Danach wurde ein DDR-Krimi von Claus Ulrich Wiesner, „Das Möwennest„, gelesen. Eine Liebeserklärung an Hiddensee und als Krimi auch gar nicht so schlecht gewesen. Das Buch fand ich in unserer Cottage-Krimibibliothek.
Im August ging es zurück nach Dublin und zwar zusammen mit Elia Evander, einer kindlichen magischen Agentin, um einigen Feen auf den Keks zu gehen. Anja Wagner ist mit „Magic Agents – In Dublin sind die Feen los!“ ganz eigene Wege gegangen, was das Genre der „Zaubererkinder“ betrifft. Spannend ist das Jugendbuch obendrein. So kann ich es mit besten Gewissen empfehlen. Allerdings spielt der 2. Teil in Prag und so sucht sich die Autorin anscheinend die touristischen Highlights unter den magischen Orten aus. Die Leser/innen sind darüber nicht erbost, sondern weiterhin sehr begeistert.
Wieder Krimizeit, ich erfuhr vom „Ostfriesenschwur“ von Klaus-Peter Wolf. Da verschickt jemand abgetrennte (Ostfriesen-) köpfe und wer darf dieses unappetitliche Rätsel wiede reinmal lösen, natürlich Ann Kathrin Klaasen und ihr Team, inzwischen auf Serienmorde spezialisiert. Dazu passt ein kräftiger Tee!
Wir bleiben bei Mord und Totschlag, reisen aber von Ostfriesland nach England: „Erased – Ein Charles Norcott-Roman“ von Jürgen Albers. Ich fand das Oxforder Ambiente herrlich und auch die Auflösung war überraschend, dazu köstliche Dialoge, absolut lesenswert.
Ein wunderschönes Jugendbuch, ein verrücktes Roadmovie um Liebe und Tod ist „Crazy Schmidt … und der krasseste Roadtrip meines Lebens“ von Hans-Jürgen Feldhaus. Das ist das Sommerbuch pur und ein Vergnügen zu lesen. Wenn ich mal schlechte Laune habe, nehme ich es wieder zur Hand.
St. John Mandels „Das Meer der endlosen Ruhe“ ließ mich dagegen ratlos zurück, ein seltsames Buch, wirkt wie aus einer Anomalie gefallen, sehr episodenhaft. Science Fiction, die keine sein will, ähnlich wie Cloud Atlas, doch die meisten Gedanken waren in den 70.ern bereits in SF-Stories besser verarbeitet worden. Dazu nur aus ihrer Oberemittelschichtsicht geschrieben. Immerhin von ihr gut konzepiert und schöne Auflösung.
„Gewässer im Ziplock“ von Dana Vowinckel war ein ebenso merkwürdiges Buch wie das oben erwähnte, aber auf andere Weise. Es ist eins der besten Jugendbücher, dass ich in letzter Zeit gelesen habe, ohne ein Jugendbuch sein zu wollen. Die Autorin braucht beim Verhältnis Juden/Deutsche nicht zu übertreiben oder zu verfremden. Schüsse auf eine Synagoge wie in Halle und das Erschießen von Passanten aus Wut auf Juden sind etwas, was sich Vowinckel nicht ausgedacht hat. Der deutsche Antisemitismus, aktuell sogar in einer Landesregierung (Bayern) vorhanden, ist etwas, was uns aktuell beschäftigt. Dabei malt die Autorin niemals schwarzweiß. Sie redet nicht um die Widersprüche und die Vielfältigkeiten herum. Sie beschreibt sie mit Augenzwinkern, manchmal auch mit Humor (Krabbenbrötchen), aber es hängt in den Augenwinkeln immer eine Träne. „Alles, was sie wollte, war, dass jemand sie schön fand.“ Jenseits, aller Identitäten, ist dieser Satz aus dem Roman die beste Zusammenfassung für „Gewässer im Ziplock“.
So lasen wir uns langsam in den September: Kaffeefassen ! Und zwar im „Magie und Milchschaum“ von Travis Baldree. Denn was machen Orkse im Ruhestand? Baldree, der selbst aussieht wie ein Hobbit, erzählt von der unerschrockenen Ork-Kriegerin Viv, die das Schwert „Schwarzblut“ an den Nagel hängt, und im Hafenort Thune ein Café eröffnet. Das einzige Problem ist, dass Kaffee in der Welt, in der Viv lebt, nahezu unbekannt ist. Und das ist nicht das einzige Problem, dass Viv hat, aber zum Glück findet sie mit dem Kobold Cal, dem Succubus Tandri und dem Bäcker Fingerhut u.a. neue Freunde. Und auch einige der Gäste packen tatkräftig mit zu, wenn es nötig ist. Und was hat es mit der gewaltigen Finsterkatze (65 kg!) auf sich, die kommt und geht, wie es ihr gefällt? Zudem gibt es alte und neue Feinde, denen das neue Glück von Viv nicht passt. Bleibt Viv an der Kaffeemaschine, von freundlichen Gnomen geliefert, oder greift sie erneut zum Schwert? Das ist übrigens auch eine ziemlich queere Liebesgeschichte.
Die „Lehrmeisterin“ von Frau Rowling und Herrn Gaiman war unzweifelhaft Diana Wynne Jones. Ich gebe aber zu, „Fauler Zauber“ ist zwar sehr humorvoll, aber nicht ihr bestes Werk. Geschäftemacher beuten eine Fantasywelt für Ihre Tourismusidee aus. Lassen es sich Zauberer, Drachen, Elfen usw. lange gefallen? Es wird zumindest sehr turbulent bis zum Schluss. Auch als Jugendbuchfantasy geeignet, überfordert aber interlektuell einige Erwachsene, wie ich bei der Durchsicht von Rez. bemerkte.
Weiter geht die Lesereise nach Canada: Ich war noch sehr begeistert von „Das Dorf in den roten Wäldern“, von Louise Penny, der erste Fall für Gamache. Die Reihe um das Dorf Three Pines geht wohl schon auf den 18. Band zu. Das Ambiente und das Personal super, die Auflösung weniger gut.
Zwischendurch noch einmal ein Kochbuch: „A Drizzle of Honey: The Life and Recipes of Spain’s Secret Jews“ von David M. Gitlitz und Linda Kay Davidson. Aufgrund der Kochgewohnheiten der verborgenen Juden Spaniens konnte die Inquisition diese aufspüren und aburteilen. Doch diese schrecklichen Vorgänge bewahrten die Rezepte und die Namen der Opfer. Die ursprüngliche Küche der sefardischen Juden ist damit rekonstruierbar und das ist der große Verdienst von Herrn Gitlitz und Frau Davidson.
„Die Insel der Tausend Leuchttürme“ von Walter Moers begleitete mich den weiteren September. Endlich wieder Verreisen mit Hildegunst von Mythenmetz. Dieser fährt zur Kur auf die Insel Eydernorn. Und Sie glauben doch nicht, dass danach noch ein Leuchtturm stehen bleibt, oder? Es wird auf jeden Fall wirder eine abenteuerliche Reise für den Dichterfürsten. Dieses Mal versuchte sich der Meister an einen Briefroman. Ob es ihm gelungen ist?
Über all den vielen Leuchtturmbesuchen wurde es Oktober: Es ging zuerst nach Berlin, in den 13. Bezirk der Stadt. Wieland Freunds fantastischer Berlin-Roman „Dreizehnfurcht“ war ein einzigartiges Lesevergnügen, an dem ich im Grunde wenig zu bemängeln finde. Die Idee um „Dreizehneichen“ ist gut durchdacht, hervorragend und spannend umgesetzt und insgesamt ist alles rund und sauber herausgearbeitet. Lediglich das „große Finale“ kommt etwas plötzlich und mit dem Gefühl von „Wir reiten alle glücklich in den Sonnenuntergang“, aber warum nicht? Fast wirkt es wie eine Mahnung für den derzeitig regierenden Bürgermeister und sein Team, wohin nämlich sektiererische Rückständigkeit und Beharren auf das Gestrige führen kann.
Kate Thompsons „Die Bibliothek der Hoffnung“ begleitete mich durch Schottland. Dieser Roman von der U-Bahn-Tunnelbibliothek im II. Weltkrieg, nach einer wahren Geschichte, ist eine einzigartige Liebeserklärung an alle Bibliothekarinnen und Bibliothekaren und anders, als das etwas kitschige Coverbild befürchten ließ, sogar sehr gut geschrieben und umgesetzt. Völlig entflammt bin ich von den vielen wundervollen Zitaten, die jedem Kapitel voran gestellt wurden. Draußen hinderte uns derweil der Sturm auf die Orkneys überzusetzen.
In Ullapool, Nordschottland, brauchte ich ein neues Buch und da der Besuch eines kleinen Buchladens allein schon ein Vergnügen ist, machte ein schönes Buch gleich noch mehr Spaß. Meine Wahl fiel nämlich und zum Glück auf Good Omens von Neil Gaiman und Terry Pratchett. Der teuflische Inhalt des Werkes ist schwer zu beschreiben, aber alles begann mit der Prophezeihung einer Hexe und mit dem Vertauschen von Babies im Krankenhaus. Oder noch früher? Egal, es gebt auch um Bücher und wenn der Weltuntergang zudem abgewendet wird, sind wir gleich noch glücklicher! Wickedly funny indeed!
Im November wurde gelesen: Zeit für ein weiteres Kochbuch und zwar „Yerevan : Die armenische Küche. Eine eindrucksvolle Reise durch Land und Kultur | Rezepte und Geschichten aus Armenien“ von Marianna Deinyan und Anna Aridzanjan. Ich freue mich schon darauf, einiges daraus zu kochen. Die Einführung machte schon großen Appetit. Wir sind eine Stadt mit einer armenischen Gemeinde und einem Sühnekreuz. Das verbindet und macht Lust auf mehr Yerevan!
Es war wieder Zeit für einen Krimi und gefesselt hat mich „Tief eingeschneit : Der zweite Fall für Gamache“ von Louise Penny. Fand ich sehr toll vom Ambiente und wieder war die Auflösung nicht sehr stimmig, aber was richtig nervte, war die Nebenhandlung mit einer Nebenfigur, die anscheinend die nächsten 100 Bände fortgeführt werden soll. Mein zweiter und letzter Gamache, es gibt noch so viele Krimis und ich möchte beim Lesen nicht genervt werden. Immerhin war ich nun gut auf den Winter vorbereitet.
„Fake History – Hartnäckige Mythen aus der Geschichte : 101 Dinge, die so nie passiert sind, aber alle für wahr halten“ von Jo Hedwig Teeuwisse. „The Fake History Hunter“, die ich von Twitter und Bluesky kenne, „entlarvt in diesem Buch 101 der weitverbreitesten Mythen über historische Tatsachen und stattet uns so mit dem nötigen Rüstzeug aus, um vor unseren Freunden mit geschichtlichem Wissen zu glänzen und Geschichtsfälschungen zu erkennen und zu korrigieren, wo immer wir ihnen begegnen.“ Das macht sie mit großen Humor, großer Sachkenntnis und einem Bekenntnis zum Weihnachtsmann bzw. Santa Claus. Ich war begeistert.
Ich habe neuerdings einen japanischen Schwiegersohn, aber zum „Restaurant der verlorenen Rezepte“ von Hisashi Kashiwai kam ich nicht über ihn, obwohl Schwiegersohn auch etwas mit Kochen und Essen zu tun hat. Das Buch hat mich sehr glücklich gemacht, trotz einige erzählerischer Schwächen. Nagare und seine zwanzigjährige Tochter Koishi betreiben ein ganz besonderes Restaurant in Kyoto. Denn eigentlich ist es eine geheime Detektei, von der aus der ehemalige Kriminalbeamte Nagara Rezepte sucht, an die sich seine Klienten nur noch mit Mühe erinnern können und mit denen sie etwas verbindet. Essen ist Erinnerung, da haben wir es wieder!
Von Kyoto nach Amsterdam, Lesen ist auch Reisen: „Die Hausboot-Detektei 2 – Tödlicher Grund“ von Amy Achterop war wieder sehr cosy, auch wenn dieses Mal ein Mitglied des Teams unter Verdacht geriet. „Mit der Rohstoffgewinnung im Ozean lässt sich viel Geld machen. Und zwar auf Kosten der Umwelt. Finden die Detektive gar nicht gut, und so wird das Aufklären dieses Todesfalls zur wahren Herzensangelegenheit.“ Ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert und liebe alles diesem chaotischen Team. Wäre übrigens auch als Jugendkrimi geeignet.
So ein bißchen Reisenachbereitung erfolgte mit dem Buch von „The Art of Coorie“ von Gabriella Bennett, auch optisch ein sehr schönes Buch und mit einer eigenen Playlist von Songs auf Spotify ausgestattet. Wenn schon einige Magazine Coorie als Nachfolger von Hygge, der dänischen Gemütlichkeit, preisen, kann ich nur warnen. Coorie ist nicht nur Lifestyle, zu Coorie gehört die schottische Landschaft, das schottische Essen/Trinken (Hicks!) und die schottische Sprache dazu, Aye! Nicht so einfach nach Kleinkleckersdorf im Sauerland zu übertragen, denke ich.
Es ging auf Weihnachten zu und so machte mir der zweite Ostfriesenwolf mit dem Titel „Der Weihnachtsmannkiller“ einen großen Spaß. Klaus-Peter Wolf hat damit eine winterliche Parodie seiner Serienkillerserie „Ostfriesendingsbums“ geschrieben. Ann Kathrin Klaasen und ihrem Team durften sich ausnahmsweise bei Glühwein und Plätzchen heiter auf die Serienmörderjagd begeben. Endlich einmal ein gelungenes Weihnachts-/Neujahrsspezial von einem deutschen Autor. Bitte nicht im Sommer aufn Deich lesen!
Passenderweise wurde es nun Dezember: Vorgelesen wurde jeden Tag aus den „Adventskätzchen“, eine Sammlung von Geschichten mit Rahmenhandlung von z.T. hochkarätigen Autoren wie Margaret Atwood, Haruki Murakami, Patricia Highsmith oder Kurt Tucholsky. Besonders gut hat uns die Krimigeschichte aus Schottland mit dem „Killerkater“ von Ann Granger gefallen.
Ich kränkelte kurz vor Weihnachten etwas herum, kein Covid, aber es halfen mir einige leichte Lektüren dabei über den Berg. Gefallen hat dabei Carlo Feber mit seinem „toten Champagner-Präsidenten“, Cédric Bressons erster Fall. Cédric ist aus dem Polizeidienst ausgeschieden, dennoch zwingt ihn das Innenministerium zusammen mit der örtlichen Polizei in einem Mordfall zu ermitteln. Kann das gutgehen, denn es wird ein Baby erwartet und da ist ja auch noch das Weingut…
Und wie gesagt, dies sind nur die 55 Bücher, die mir gefallen bzw. die ich nicht abgebrochen habe. Da ich zum Vergnügen lese, verwundert es nicht, das 80 % davon Belletristik waren, aber immerhin noch 20 % Sachbücher, davon in diesem Jahr 3 neue Kochbücher. Deutsche Originale waren von den 55 Bücher immerhin 40 %. Ich habe aber auch 5 Bücher in einer fremden Sprache, engl., gelesen. Gelesen wurden 2 wunderschöne Graphic Novels. Von allen gel. Büchern waren 27 % Krimis, 23 % Fantasy und nur 4 % Science Fiction.
Jetzt freue ich mich auf das neue Lesejahr 2024! Euer Bibliothekar der freien Gutsbibliothek